Zitat:
Die ersten Deutschen - Produkt einer gefährlichen Mischung
Die Völker Europas - Griechen, Lateiner, Kelten, Illyrier, Balten - kann man, wenn man es genauer nimmt, mit Stiefgeschwistern vergleichen : Sie haben alle denselben Vater, aber alle eine andere Mutter. Nicht anders ist es bei den Germanen : Auch sie entstehen aus der Verschmelzung indogermanischer Volksteile mit einer eingesessenen Bevölkerung. Dieser geschichtliche Prozess, der der Welt den ersten Deutschen bescherte, fand in Norden Europas statt, im Gebiet der Megalithkultur. Eine ausgebildete Zivilisation, getragen von seßhaften, friedfertigen Bauern, die, nach den Knochenfunden zu urteilen, überwiegend breitschultrig waren, mit breitflächigen Gesichtern, derb, stämmig. So zeigte sich der nordische Kreis, als die Eindringlinge aus dem Osten erschienen.
Die Indogermanen kommen auch hier als Eroberer, unterwerfen auch hier die Eingesessenen, ja vertreiben sie zum Teil, dann aber kommt der Ausgleich : Die Hünengräberleute sind in ihrer Substanz zu stark, um sich auf die Dauer verdrängen zu lassen. Man arrangiert sich, oder - um ein moderneres Wort zu gebrauchen - es kommt zur Fraternisation zwischen Siegern und Besiegten. Erfahrungen werden ausgetauscht, Kenntnisse, handwerkliche Fertigkeiten. Bald weiden neben den Kornfeldern die Herden der Zugewanderten, benutzen die Einheimischen das Pferd, beziehen die Götter einen gemeinsamen Himmel, spricht man die Sprache des anderen.
Schließlich wird jene Verschmelzung zur Regel, die in der Geschichte der Völker stets am dauerhaftesten gewesen ist : Der Eroberer freit die Eroberte. Allmählich, im laufe einer Entwicklung, die sich über jahrhunderte hinzieht, entsteht ein neues Volk mit einer neuen Kultur : Die Germanen, oder, um möglichst präzise zu sein, die Urgermanen.
Ein Vorgang, der sich augenfällig, oder besser ohrenfällig, in der Sprache niederschlug. Die Indogermanen zwangen ihre Sprache der eingesessenen Bevölkerung auf, aber auch hier waren die Hünengräberleute stark genug, um ihrerseits die Sprechweise der Eroberer zu beeinflussen. In einem Vorgang, der sich über viele Jahrhunderte erstreckte, wurde das Lautsystem des Indogermanischen umgestaltet.
Er fand seinen Abschluss in der "germanischen Lautverschiebung" :
Konsonanten änderten sich, grammatikalische Formen verschwanden, die Wortbetonung, bis dahin frei, legte sich auf die Anfangssilbe.
Deutlicher noch zeigt sich dem Wissenschaftler der Verschmelzungsprozess in der Mythologie, die, wie bei allen Völkern zu beobachten, das Alte, Ursprüngliche immer am beharrlichsten bewahrt. Hier führt das Göttergeschlecht der Asen einen regelrechten Krieg gegen die mit ihnen verfeindeten Wanen, ebenfalls eine Götterfamilie. Da nun die Asen nachweislich von den Indogermanen mitgebracht wurden, die Wanen dagegen von den Großsteingräberleuten verehrt wurden, so ist dieser Krieg nichts anderes als die Widerspiegelung historischer Geschehnisse.
Ein bodenständiges Bauernvolk vermählt sich mit einem Stamm von Hirtenkriegern - Gegensätze, wie sie sich nicht größer denken lassen. Es ist also kein Wunder, dass das Produkt dieser Ehe höchst interessant ausfiel, aber auch höchst problematisch. Seinen Nachbarn gab es über Jahrtausende hinweg immer wieder neue Rätsel auf.
Von der mütterlichen Seite, den Bauern, kamen die Elemente des Beharrenden, Bodenständigen, Erdverbundenen, von den Hirten die Unrast, das Schweifende. Feuer mischt sich mit Wasser, Friedfertigkeit mit Eroberungsdrang, platte Nüchternheit des auf der Scholle Sitzenden mit der Unendlichkeitssehnsucht des ewigen Wanderers
Natürlich denkt man jetzt an Faust, den Himmelsstürmer :
"Zweil Seelen wohnen, Ach!,in meiner Brust;
Die eine will sich von der ander'n trennen.
Die eine hält, in derber Liebeslust,
sich an die Welt mit klammernden Organen;
die andr'e hebt gewaltsam sich vom Dust zu den Gefilden hoher Ahnen!"
Hier ist es gesagt, und nicht zufällig gilt Goethes "Faust" als der Deutschen Nationalepos. "Dem lieb ich, der Unmögliches begehrt", das ist der eine Teil des Erbes. Und des Famulus' Wagner Wort, als der Teufel in der Gestalt eines Hundes naht, "Ich sehe nichts als einen schwarzen Pudel!", das ist der andere Teil.
Wer sich das vergegenwärtigt, ahnt vielleicht, warum dieses Volk einen Beethoven hervorgebracht hat und einen Gauß, einen Kant und einen Diesel, einen Hölderlin und einen Blücher, einen Hauptmann und einen Wernher von Braun, einen Krupp und eine Bertha von Suttner, einen Friederich Engels und einen Spitzweg. Aber auch einen Hitler und einen Schweitzer, einen Thomas Mann und einen Eichmann, einen Heuss und einen Himmler.
Gewiß, eine solche Reihenfolge extremer Persöhnlichkeiten ließe sich bei vielen Völkern zusammenstellen, doch man wird zugeben, dass die Diskrepanz nirgends so groß ist wie im Deutschen. Wie anders ließe sich solche Ungeheuerlichkeit erklären, dass das Volk der Dichter und Denker auch das Volk von Auschwitz und Dachau sein konnte.
Die zwei Seelen in der germanischen Brust hat schon der römische Historiker Tacitus in seiner berühmten "Germania" bemerkt, als er kopfschüttelnd registrierte: "Ein merkwürdiger Widerspruch liegt in ihrem Wesen .."
Und wenn die Kimbern und Teutonen, die so gefürchteten Haudegen, immer wieder um Land und Saatgut bitten wie biedre Bauersleut', wenn sie ihre Waffendienste anbieten für Siedlungsgrund, dann zeigt sich auch hier die Gegensätzlichkeit des väterlichen und des mütterlichen Erbteils. Bauern die gerne Soldaten sind, Soldaten, die gerne Bauern wären. Eine Polarität, die furchtbar sein kann, aber auch zu seelischer Zerrissenheit führt, zu ewigen Zweifeln und zu Arroganz, zu Unsicherheit und zu Überheblichkeit, zu Skeptizismus und zu Größenwahn.
So blieben sich für den "Rest der Welt" dunkel, widersprüchlich, von gefährlicher Unergründlichkeit, nicht berechenbar, teutonisch, und zu keiner Zeir glaubte man sich vor dem sicher, was die Römer den furor Teutonicus nannten.
ist bestimmt was für Schore
