Sido- Ich
Nein, ich war weiss Gott noch nie ein echter Fan des lustigen Maskenmannes. Allerdings war ich auch nie ernsthaft ihm gegenüber vorurteilsbehaftet. "Mein Block" feierte ich, als der Song noch als Juice Exclusive erschien, auf der Heft-CD, lange bevor daraus eine Single wurde. Aber sein Album, dass habe ich mir nicht gekauft. Für mich hatte das keinerlei Relevanz gehabt. Den Medienrummel um ihn und seinem Label Aggro Berlin verfolgte ich sowohl amüsiert als auch mit Ernst. Aber eines konnte man nie abstreiten: Der Sido, der ist lustig.
Nun also "Ich". Runter mit der Maske, der Mann dahinter soll interessieren, mehr Wahrheiten, Ehrlichkeit, Kritikerschelte in Form von Qualität soll es sein. Nun, wären die ersten beiden Videos nicht so interessant gewesen, hätte ich auch dieses Album verschlafen. "Strassenjunge" jedoch besticht durch old-schoolig angehauchten Beat und einer Performance die sich stark verbessert hat. Und bei "Ein Teil von mir" bekam ich schlicht und ergreifend Gänsehaut. Einen der schönsten und rührendsten Raptracks der letzten Zeit hat Sido mit seinem Track an seinen Sohn da geschaffen. Spätestens hier sollte jedem klar sein: Grundloses Verreissen ist absolut fehl am Platze, der Junge wird zum Mann, hat lyrisch und technisch zugelegt wie Marlon Brando im Laufe seiner Karriere und zeigt inhaltliche Tiefe. Wie ist es nun ums Album bestellt? Einfach: Ein Album, bei dessen Intro ich bereits vor Lachen auf dem Tresen liege und mein Gesicht verberge, damit ich ja niemanden ins Gesicht lache, kann sooo schlecht nicht sein. Und es wird besser: Tiefe, Komödiantisches und Verruchtes wechseln sich auf dem Album ab ohne den Eindruck der Zersplitterung aufkommen zu lassen. Alles greift ineinander dank des roten Fadens und dieser ist Sido selbst. Er schafft es in nahezu allen Tracks(außer denen die ganz offensichtlich für "andere Zwecke" gedacht wurden) auch so etwas wie Substanz unterzubringen: Seine Texte sind nie platt(was man ihm gerne vorwirft), es steckt stets noch sehr viel mehr drin und vor allem von ihm selbst. Auch sind seine Themen und Konzepte gut gewählt: "1000 Fragen" stellt er über Gott und die Welt um dann sein "Testament" zu verlesen. Der sehr starken Performance Sidos haben die Gastfeatures meist nicht so viel entgegenzusetzen, sie ordnen sich also bereitwillig unter und bereichern die Tracks . So und die Beats? Champions League. So gute Produktionen habe ich schon lange nicht mehr gehört, gerade aus deutschen Landen. Klar, "Game Over" vom Erzrivalen Azad war auch ein Brett, aber da gab es einige überflüssige Lückenfüller. Das hier, das ist großes, perfekt arrangiertes und produziertes Kino, Entertainment. Man höre "Ihr habt uns so gemacht" mit Massiv oder auch "Mein testament". Beatz von Pathos und großen Emotionen.
Azad selbst bekommt ein paar Seitenhiebe verpasst. Der Vergleich beider Alben drängt sich hierbei natürlich auf und man muss sagen, die Maske siegt hier deutlich über die 1- Mann Armee. Azad kann zwar auf seinem Album ebenfalls einige sehr große Produktionen verbuchen, aber ebenso auch Füller, die störend wirken(K.O., Meine Zeit). Zudem begnügt er sich über die volle Laufzeit mit nur einem Flow und quasi einem Reimschema, was auf die Dauer etwas ermüdend wirkt. Sido hingegen zeigt einen doch vergleichweise sehr variablen Flow, hat catchy Hooks und auch seine Reime sind flexibler, sein Vortrag ist insgesamt auch energischer vorgetragen. Während also Azad den Eindruck des Ausruhens macht, hat Sido etwas zu beweisen. Und das tut er eindrucksvoll.
copyright: W.-M. Sung
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Hell on Earth...Frontlines.
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